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Wofür braucht es Ethnologie?

(von Johannes und Sharon Merz)

Nicht alle müssen ein Ethnologiestudium absolvieren, aber wir glauben, dass alle, die in der Bibelübersetzung arbeiten, davon profitieren können, ethnologisch denken zu lernen.

Der Umgang mit Menschen, die anders sind

Ethnologisch zu denken bedeutet, Menschen, die anders sind als wir, besser kennenzulernen. Dazu müssen wir uns selber auch besser kennenlernen.

Eine unserer Schülerinnen an einem Kurs erzählte dazu ein Beispiel. Sie hatte Mühe, mit Menschen zusammenzuarbeiten, die, so schien es ihr, in ihrem Zeitverständnis schlichtweg falsch lagen. Sie hielt ihre eigene Einstellung für überlegen und versuchte, den andern klarzumachen, wie man “richtig” mit Zeit und Planung umgeht. Natürlich litten ihre Beziehungen und ihre Arbeit geriet ins Wanken. Während des Kurses begann sie zu erkennen, dass die Menschen nicht falsch lagen, sondern einfach nur anders waren. Als sie erkannte, wie sie an die Themen Zeit und Planung herangingen, begann sie zu verstehen, dass ihre Art, die Zeit zu betrachten, nur eine von vielen Möglichkeiten war. Ihre Einstellung begann sich zu ändern. Sie konnte nun die Menschen, denen sie diente, besser verstehen und die Beziehungen begannen sich zu verbessern. Alle profitierten von ihrem ethnologischen Erkenntnissen und die Arbeit wurde wieder aufgenommen.

Ethnologie im Dienste der Übersetzung

Ein zweiter Bereich, in dem wir uns engagierten, war die Leitung einer Diskussionsgruppe über biblische Wörter und wie man sie in Mbelime, eine Sprache in Benin, übersetzen kann. Wir treffen uns regelmäßig mit einem Dutzend Christen aus verschiedenen Kirchen und den drei Bibelübersetzern. Mit der Hilfe der Beraterin lernen wir zunächst, was das Originalwort in der Bibel bedeutet. Dann stellen wir fest, wie die verschiedenen Kirchen es derzeit übersetzen und welche anderen Wörter und Ausdrücke möglich sind. Hier kommen wir ins Spiel: Gemeinsam erforschen wir die Bedeutung der verschiedenen Übersetzungen im Detail. Unser Fachwissen und unsere Vorrecherchen sind wertvoll und wir tragen regelmäßig zur Diskussion bei. Anschliessend ist es an der Gruppe, miteinander zu diskutieren und – wenn möglich – eine Empfehlung zu formulieren.

Hier ist ein Beispiel. Wir haben festgestellt, dass praktisch alle Christen “Herr” mit ti-yonpi-yiɛnɔ übersetzen. Dieses Wort wurde von den Christen geprägt und bedeutet “unser Sklavenherr”. Es stimmt zwar, dass Paulus manchmal einen ähnlichen Ausdruck verwendet hat (wie in 1 Kor 7,22 oder Eph 6,6), aber der Aspekt der Sklaverei ist im griechischen Wort kyrios nicht vorhanden. Darüber hinaus haben wir festgestellt, dass Nichtchristen den Ausdruck als das verstehen, was er aussagt: Jesus als unseren Herrn anzunehmen bedeutet, sein Sklave zu werden. Angesichts der Sklaverei im historischen Westafrika ist das nicht nur abschreckend, sondern regelrecht falsch.

Daher diskutierten wir bei einem unserer Treffen die biblische Bedeutung von kyrios und berichteten von unseren Recherchen über die Ausdrücke in Mbelime. Einige der Teilnehmer begannen, das Problem zu erkennen, andere nicht. Sie sagten, es sei das Wort, das jeder benutzt und kennt. Warum sollte es geändert werden? Am Ende entschied sich die Gruppe vorläufig für das Wort uyiɛnɔ, das einfach “Eigentümer” oder “Herr” bedeutet. Es wird verwendet, um die Position der Ehre, Verantwortung und Fürsorge zu bezeichnen, die der älteste Mann einer Grossfamilie innehat. Wir haben Fortschritte gemacht, aber die Diskussion geht weiter …