Forum für Missionsteams und Begleitpersonen |
Gut durchdachte Fragen lösen im Allgemeinen wunderbare Gespräch aus. Zwei, drei sorgfältig ausgewählte, gut formulierte Fragen genügen, um eine Auseinandersetzung mit einem relevanten Thema anzuregen.
Allerdings kann das Stellen von Fragen je nach kulturellem Umfeld auch als bedrohlich empfunden werden. Das ist in Kulturräumen der Fall, in denen Fragen üblicherweise von Autoritätspersonen verwendet werden, um ihnen unterstellte Personen zu befragen, beurteilen oder sogar blosszustellen. Dort kann selbst eine höflich formulierte Frage als Einschüchterung aufgenommen werden.
Hat man als Lehrperson durch Lächeln und Gespräch ein Gefühl der Sicherheit seitens der Lernenden geweckt, stellt danach aber eine Aufgabe in Frageform, so löst das alle günstigen Voraussetzungen für den Unterricht in Luft auf. Eine solche Aufforderung erscheint mir selbst ganz selbstverständlich und harmlos, aber ich habe in verschiedenen Kulturen erlebt, welche Folgen, sie in einer Gesprächsrunde haben kann: Anstatt ihre Erfahrungen und Meinung zu einem bestimmten Thema frei zu äussern, reagierten die Angesprochene mit plötzlichem Schweigen, verlegenen Blicken oder nervösem Stühlerücken.
Wie erteilt man unter solchen Umständen am besten eine Aufgabe? Um das herauszufinden, habe ich folgendes Experiment gemacht: Anstatt die Aufgabe als Frage zu formulieren, habe ich sie in eine sanfte Aufforderung umgewandelt.
So sagte ich beispielsweise anstatt «Wie malen sich die Menschen in Ihrem Dorf die Zukunft aus?»: «Erzählen Sie mir, wie sich die Menschen in Ihrem Dorf die Zukunft ausmalen.»
Oder anstatt «Warum haben manche Familien bei der Erziehung ihrer Kinder mehr Erfolg als andere?»: «Erklären Sie mir, was wichtig ist, wenn man Kinder erzieht.»
Diese Umformulierung mag uns in der westlichen Welt bedeutungslos erscheinen, je nach Kulturraum ist sie jedoch für die Formulierung eines Anliegens enorm wichtig. Meine Kollegin bestätigte das mit breitem Grinsen. Dank der so gestellten Aufgabe hatten die Mitarbeitenden nun nicht mehr das Gefühl, herablassend getestet zu werden, ob sie die «richtige Antwort» zu geben wüssten. Sie fühlten sich ganz im Gegenteil dadurch ermutigt, ihre eigenen Erfahrungen mitzuteilen.
Manchmal ist auch ein kleiner Zusatz hilfreich, um eine direkte Frage zu vermeiden: «Sagen Sie mir, was Ihrer Meinung nach …» Solche Nuancierungen tragen dazu bei, dass sich die Angesprochenen in einer Gruppe geschätzt und sicher fühlen. Die Aufgabenstellung darf keinesfalls den Eindruck erwecken, es werde eine bestimmte Antwort als <die richtige> erwartet. Vielmehr soll sie vermitteln, dass Antworten jeder Art willkommen, wertvoll, ja sogar entscheidend sind, damit man in der Gruppe für Probleme, die alle betreffen, gemeinsam gute Lösungen findet.
Ist die Beziehung zur Gruppe ausreichend vertieft, mag es angehen, die Diskussion mit einer offenen Frage einzuleiten. Doch ist darauf zu achten, ob Beteiligte ängstliche Blicke um sich werfen oder die Augen plötzlich verlegen abwenden. Ist das der Fall, empfehle ich ein behutsames Zurückkrebsen in Form von «Bitte sagen Sie mir …», bis Fragen nicht mehr bedrohlich empfunden werden.
Jennifer Giezendanner, diplomierte Erwachsenenbildnerin und Expertin für Dialogische Agogik, arbeitet mit ‹Global Learning Partners› und mit Wycliffe Schweiz.